Offener Brief an alle Athleten*innen, Trainer*innen, Betreuer*innen, Mitarbeiter*innen, Mitglieder und Freunde der DESG!!

26. 06. 2020

Liebe Athleten*innen, Trainer*innen, Betreuer*innen, Mitarbeiter*innen, Mitglieder und Freunde der DESG,

 

seit einer Woche bin ich nun kommissarischer Präsident unseres Verbandes. Es gibt sicherlich leichtere Aufgaben, um sich als ehrenamtlicher Sportfunktionär zu bewähren. Für niemanden von Euch ist es ein Geheimnis, dass die DESG – einst ein Spitzenverband, der diesen Namen mehr als verdient hatte ­– öffentlich zuletzt ein jämmerliches Bild abgegeben hat. Erfolglos, ideenlos, führungslos. Selbst von Insolvenz war die Rede. Aus meiner Sicht ist völlig nachvollziehbar, dass die Verunsicherung ob der ungewissen Zukunft sowohl in den Leistungszentren als auch den Landesverbänden, Vereinen, ja bei jedem einzelnen von Euch, riesengroß sein muss.

 

Ihr alle habt das gute Recht darauf, zu erfahren, wie ich den Verband aus der Krise führen möchte. Seit meiner Ernennung zum kommissarischen Präsidenten der DESG gab es zahlreiche Interview-Wünsche von Journalisten*innen, die mich hierzu befragen wollten. Doch bevor ich mich dazu in den Medien äußere, ist es mir eine Herzensangelegenheit, mich zuerst an all jene zu wenden, die die DESG seit vielen Jahren mit Leben erfüllen – an Euch.

 

Deshalb habe ich mich zu diesem offenen Brief entschlossen, der die Möglichkeit bietet, meine Gedanken ungefiltert mit Euch zu teilen. Gerne stehe ich gemeinsam mit Euch für einen Neuanfang zur Verfügung. Einen, der auf ein faires, respektvolles Miteinander setzt. Einen, der persönliche Eitelkeiten zurückstellt. Einen, der Transparenz und Mitsprache achtet. Einen, der klare und kurze Entscheidungswege verspricht. Und einen, der vor allem die Belange der Athleten*innen in den Vordergrund rückt.

 

Aus diesem Grund haben wir im neu formierten Präsidium auch als erstes beschlossen, den Orthopäden, Unfallchirurgen und Sportmediziner Dr. med. Gerald Lutz mit sofortiger Wirkung wieder als leitenden Verbandsarzt der DESG einzusetzen. Nach einer mehr als zehnjährigen vertrauensvollen Zusammenarbeit hatte die DESG im Frühjahr 2017 die Vereinbarung beendet, ohne ihm die Gründe für das Aus darzulegen. Im Anschluss daran verkümmerte die medizinische Versorgung unserer Athleten mehr und mehr. Im Vorjahr mussten sie sogar ganz ohne fachärztliche Betreuung zu den Saisonhöhepunkten reisen. Ein untragbarer Zustand. Deshalb habe ich mich im Namen der DESG bei Dr. Lutz für das unrühmliche Ende der einstigen Zusammenarbeit entschuldigt und ihn gebeten, zurückzukehren. Ich habe mich sehr gefreut, dass er die Entschuldigung angenommen und seine Tätigkeit für die DESG direkt wieder aufgenommen hat. So kann auch in diesen schwierigen Krisenzeiten die bestmögliche medizinische Betreuung unserer Athleten*innen sichergestellt werden.

 

Im zweiten Schritt haben wir beschlossen, die längst fälligen Corona-Hilfsanträge zu stellen, um sämtliche noch möglichen Bundeshilfen zu bekommen.

 

In den kommenden Wochen gilt es nun, mir einen detaillierten Einblick in die Finanzen des Verbandes zu erarbeiten, ehe die von mir angekündigten Sponsorenleistungen und -verträge fixiert werden können. Im Anschluss daran wird jeder von Euch wissen, was der Verband finanziell erwarten darf, wenn ich auf der für September geplanten Außerordentlichen Mitgliederversammlung als Präsident bestätigt werden sollte.

 

Parallel werden wir damit beginnen, die Inhalte meines Bewerbungskonzeptes umzusetzen, das die Grundlage für die Entscheidung von Schatzmeister Dieter Wallisch und Vize-Präsident Uwe Rietzke war, mich als kommissarischen Präsidenten einzusetzen. Neben der finanziellen Gesundung durch die Gewinnung eines neuen Hauptsponsors und der Rückkehr von Dr. Gerald Lutz als Verbandsarzt habe ich dabei vor allem die Themen „Rückkehr zum maximalen sportlichen Erfolg“ und „Nachwuchs für Vereine und Verbände“ in den Mittelpunkt gerückt.

 

Für beide Schwerpunkte werden wir in Kürze Arbeitsgruppen bilden, die hoffentlich sehr schnell zielgerichtet und lösungsorientiert agieren werden. Meine Vorschläge liegen bereits auf dem Tisch. Ich plädiere z.B. dafür, bei den Trainern stärker auf eigene Verbandspersönlichkeiten wie Olympiasieger*innen und Weltmeister*innen Gunda Niemann-Stirnemann, André Hoffmann und Jenny Wolf zu setzen. Im engen Austausch mit verdienten Erfolgstrainern aus der DESG-Historie wie Joachim Franke, Stephan Gneupel oder Thomas Schubert sollten wir der jungen Garde das Vertrauen schenken, unsere Athleten*innen wieder an die internationale Spitze heranzuführen.

 

Darüber hinaus erwarte ich von dieser Arbeitsgruppe auch Lösungsansätze, wie es der DESG zukünftig wieder gelingen kann, Top-Athleten*innen wie Patrick Beckert, Joel Dufter, Nico Ihle oder Claudia Pechstein ein erfolgversprechendes Trainingsgefüge innerhalb des Verbandes anzubieten, zumal auch Anna Seidel, Christoph Schubert und Bianca Walter sich zwischenzeitlich im Verband nicht mehr bestens aufgehoben fühlten.

 

Ich hoffe, wir sind alle einer Meinung, dass ein Verband wie die DESG in der Lage sein sollte, seinen Top-Athleten*innen ideale Trainingsbedingungen zu bieten. Leistung muss sich wieder lohnen. Persönliche Befindlichkeiten müssen dem Erfolg untergeordnet werden. Während meiner Amtszeit als DESG-Präsident kann sich jeder auf einen fairen und vertrauensvollen Umgang verlassen. Seinem Gegenüber Respekt entgegen zu bringen, sollte für jeden von uns oberstes Gebot sein.

 

Selbstverständlich wird und kann es Meinungsverschiedenheiten geben, aber diese werden wir intern austragen. Ich verspreche jedem von Euch, dass es während meiner Amtszeit keinerlei Duldung öffentlicher Diffamierungen – durch wen auch immer – innerhalb der DESG geben wird. Des Weiteren verspreche ich, die vorhandenen Strukturen der DESG daraufhin überprüfen zu lassen, wie wir das Mitspracherecht der Mitglieder und die Transparenz ihnen gegenüber optimieren können.

 

Doch ich möchte nicht nur etwas versprechen und bieten, sondern auch etwas einfordern. Vor allem von unseren Top-Athleten*innen. Und damit meine ich nicht nur, ihr Bestes auf dem Eis zu geben. Sondern ihr Engagement an der Basis, ihren persönlichen Einsatz bei der Förderung, Sichtung und Gewinnung neuer Talente. Deshalb sieht mein Konzept regelmäßige „Erlebnistage mit echten Medaillengewinnern“ vor. Hierzu muss in völlig neue Bereiche vorgestoßen werden. Es wird wichtig sein, Kontakte zu Presse, Funk und TV jenseits der üblichen Sportberichterstattung zu knüpfen, um so Medienpartner zu gewinnen, die solche Erlebnistage nicht nur begleiten, sondern im Vorfeld auch breitenwirksam ankündigen.

 

Ich bin schon jetzt sehr gespannt, welche Ansätze die Arbeitsgruppe „Nachwuchs für die Vereine und Verbände“ in diesem Punkt finden wird. Wenn wir uns auf ein Ergebnis verständigt haben, werden unsere Top-Athleten*innen aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft jedem Kind für gemeinsame Erlebnistage zur Verfügung stehen, das sich für unseren Kufensport interessiert und begeistern lassen möchte.

 

Wir müssen alle gemeinsam wieder Leidenschaft und Emotionen wecken. Jeder von Euch ist eingeladen, an der Neugestaltung der DESG mitzuwirken. Und wenn ich jeder sage, dann meine ich auch jeder! Deshalb gibt es sofort einen Ideen- und Kummerkasten für Eure Verbesserungs-vorschläge und Lösungsansätze, aber auch für Eure Sorgen und Nöte. Nehmt kein Blatt vor den Mund, lasst Euren Gedanken freien Lauf. Jede Mail an landet direkt bei mir und wird auch von mir bearbeitet. Ich zähle auf Euch!

 

Ich könnte an dieser Stelle noch viel mehr loswerden, doch nun gilt es erst einmal Schritt für Schritt voranzukommen. Ich weiß, dass längst noch nicht alle davon überzeugt sind, dass ich der richtige Mann an der richtigen Stelle bin. Dieses Ziel zu erreichen, ist wohl auch ein unmögliches Unterfangen. Aber ich werde daran arbeiten, Tag für Tag weitere Mitstreiter aus Überzeugung zu gewinnen, damit der Kreis von Shorttrack- und Eisschnelllauf-Enthusiasten, die mich schon jetzt unterstützen, stetig wächst. Gerne möchte ich mich bei allen, auf deren Loyalität ich mich in den vergangenen Wochen und Monaten verlassen konnte, ganz herzlich bedanken.

 

Ich freue mich über jeden, der sich einbringt, Engagement zeigt und mit dem Herzen dabei ist. Zwei Beispiele, die von Einsatz zeugen, möchte ich abschließend gerne anführen. Zum einen hat sich der Shorttrack-Bundestrainer Stuart Horsepool bei mir gemeldet und mich nach Dresden eingeladen. Er möchte mir gerne die Gegebenheiten am Stützpunkt zeigen und mir alle Athleten*innen,Trainer*innen sowie Betreuer*innen vorstellen. Vielen Dank für die Einladung, die ich gerne annehme.

 

Zum anderen hat mir Moritz Geisreiter per Mail seine Gesprächsbereitschaft zu einer kritikoffenen Kommunikation mitgeteilt. Selbstverständlich werde ich auf das Angebot des Athletensprechers und das seines Kollegen Leon Kaufmann-Ludwig eingehen und hoffe dabei sehr auf konstruktive Gespräche. Da Moritz sich ja jüngst in mehreren Interviews kritisch zu meiner Ernennung als DESG-Präsident geäußert hat, möchte ich ihm auch unseren gemeinsamen Verband als Meinungsplattform anbieten. Von daher werdet Ihr schon alsbald auf www.desg.de ein ausführliches Interview mit Moritz lesen können.

 

Es ist sein gutes Recht, dann erneut davon zu sprechen, dass mit mir ein kommissarischer Präsident berufen worden sei, der als umstritten gilt. Einem, dem in den Medien ein zweifelhafter Ruf vorauseilt. Doch worauf begründet sich dieser Ruf eigentlich? Ich rufe es Euch gerne noch einmal in Erinnerung: Darauf, dass ich seit zehn Jahren mit harten Bandagen darum kämpfe, dass die größte Ungerechtigkeit, die jemals einem deutschen Sportler bzw. einer deutschen Sportlerin widerfahren ist, korrigiert und gesühnt wird!

 

Auch wenn jetzt einige darüber die Nase rümpfen werden, dass ich in diesem offenen Brief nicht daran vorbei kann, die besondere Beziehung zu meiner Lebenspartnerin Claudia Pechstein zu thematisieren – ich halte es für notwendig. Denn wenn ich Claudia nicht kennengelernt hätte, würde es diese Zeilen an Euch überhaupt nicht geben. Ich habe mich in ihren Kampf für Gerechtigkeit eingeschaltet, als sie für viele noch als Dopingsünderin galt. Verurteilt, ohne Beweis! Als manche Journalisten*innen, Politiker*innen und Funktionär*innen an Deutschlands erfolgreichster Winterolympionikin ein Exempel statuieren wollten. Ich habe ihnen ins Gesicht oder – wenn sie einem persönlichen Treffen mit mir aus dem Weg gegangen sind – am Telefon gesagt, wie schändlich sie sich verhielten. Diese persönliche Auseinandersetzung war für viele neu, da sie Widerspruch normalerweise nicht gewohnt waren. Schon gar nicht mit Nachdruck. Sollte ich mich dabei auch mal im Ton vergriffen haben, möge man es mir nachsehen angesichts dieses zum Himmel schreienden Fehlurteils, das damals auf Teufel komm raus durchgeboxt wurde. Doch unser Kampf für Gerechtigkeit hat so manchen Systemgetreuen aus der Komfortzone herausgeholt und mich zum umstrittenen Partner von Claudia Pechstein werden lassen.

 

Ich sage es ganz offen: Damit kann ich gut leben. Mehr noch: Wenn der leidenschaftliche Kampf um die gerechte Sache einen umstritten erscheinen lässt, dann bin ich gerne umstritten. Und ich verspreche jedem von Euch, dass ich mich mit der gleichen Leidenschaft, die mich – trotz der Rehabilitierung Claudias durch den DOSB mit seinem Präsidenten Alfons Hörmann an der Spitze – in den Medien zum „umstrittenen Lebenspartner von Claudia Pechstein“ werden ließ, für die sportliche und finanzielle Gesundung der DESG einsetzen werde. Und Claudia darf sich darauf verlassen, dass sie von mir nicht bevorzugt behandelt wird. Denn eines der DESG-Ziele muss es sein, Claudias nationale Konkurrenz so zu fördern, dass sie als fast 50-Jährige auf ihren Spezialstrecken nicht mehr allen davon laufen kann!

 

Ich bin mir sicher, uns stehen aufregende, abwechslungsreiche und hoffentlich auch erfolgreiche Wochen und Monate bevor. Für die DESG beginnt ein neues Zeitalter. Bitte zeigt mir als Eurem neuen Präsidenten, wie sehr Euch der Verband, seine Athleten*innen und alle Mitwirkenden am Herzen liegen. Der Ideen- und Kummerkasten ist geöffnet:

 

Abschließend wünsche ich mir, verdeutlicht zu haben, dass ich meine neue Aufgabe voller Optimismus und Tatendrang antrete und weit davon entfernt bin, ein Schwarzmaler zu sein. Dennoch sollte jedem von uns bewusst sein, dass der Verband in einer historischen Notlage steckt. Und weil die Situation sehr ernst ist, gilt es jetzt alle Kräfte zu einen, um der DESG wieder eine Zukunft zu ermöglichen, wobei die der Sportler*innen in den Vordergrund zu rücken ist.

 

Jeder von Euch ist eingeladen, daran mitzuwirken, die DESG wieder zu altem Ruhm zurückzuführen und in neuem Glanz erstrahlen zu lassen.

 

Ich bin gespannt – lasst uns beginnen!

 

Euer Matthias Große,

kommissarischer Präsident

Donnerstag, 25. Juni 2020