Spiegel-Interview mit Matthias Große

09. 09. 2020

Im Vorfeld der DESG-Mitgliederversammlung, Samstag, 19. September 2020, hat das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ ein Interview mit dem kommissarischen Präsidenten der DESG geführt und es nun auf der Spiegel-Webseite veröffentlicht:

https://www.spiegel.de/sport/wintersport/eisschnelllauf-boss-matthias-grosse-was-ich-mache-ist-eine-wohltat-a-82685455-50b9-47c8-8f49-3f3cb2da1ecd

Da das Gespräch mit Matthias Große dort nur von Abonnenten vollständig gelesen werden kann, hat uns der Spiegel-Redakteur Peter Ahrens dankenswerter Weise die Genehmigung erteilt, das vollständige Manuskript des Interviews im Original-Wortlaut auch über die eigenen DESG-Kommunikationskanäle zugänglich zu machen:

 

Herr Große, seit zweieinhalb Monaten sind Sie kommissarischer Präsident der DESG. Zu Ihrem Amtsantritt haben Kritiker Zweifel an Ihrer Qualifikation geübt. Was qualifiziert Sie für das Amt – außer dass Sie Geld mitbringen?

Ich glaube, dass mein Lebensweg eine gute Qualifikation darstellt. In der DDR geboren und aufgewachsen zu sein, bei der Wende vor dem Nichts gestanden zu haben und jetzt doch das erreicht zu haben, was ich erreicht habe. Ich führe ein gesundes Unternehmen, mit einer ganz soliden Entwicklung und mittlerweile fast 200 Mitarbeitern. Wir entwickeln Immobilienprojekte, wir sind ein starkes Team. Das funktioniert nur mit einer klaren Linie und einer starken Führung. Seit meiner Amtsübernahme in der DESG habe ich auch dort in den vielen Gesprächen von den Leuten immer wieder gehört: Wir möchten Führung. Die bekommen sie. Und zu den Kritikern: Die stehen hinter der Gardine, aber es ist keiner da, der sich traut, ebenfalls zu kandidieren. Es hat mir auch noch keiner erklärt, was schlecht daran sein soll, wenn die DESG einen neuen Hauptsponsor bekommt, der die Zukunft des Verbandes absichert.

In diesen zweieinhalb Monaten haben Sie sich unter anderem vom Bundestrainer und vom Sportdirektor trotz laufender Verträge getrennt. Sie haben vollendete Tatsachen geschaffen, obwohl die ordnungsgemäße Präsidentenwahl erst an 19. September ansteht. Sie haben Geldzahlungen angekündigt nur für den Fall, dass Sie auch gewählt werden. Kommt man sich da als Delegierter am 19.9. nicht erpresst vor?

Ich sehe das anders: Eine Erpressung ist eine Straftat. Was ich mache, ist eine Wohltat. Klar wurden von mir Fakten geschaffen, aber die hätten schon längst von den zuvor Verantwortlichen geschaffen werden müssen. Und selbstverständlich haben die Mitglieder auch weiterhin die Wahl, einfach so weiterzumachen wie zuvor. Die Leute müssen das nicht annehmen, was ich Ihnen anbiete. Die Vereine müssen nicht sagen, wir wollen einen Bus, einen WC-Container oder Geldprämien für einen Olympiastarter. Ich habe jetzt bereits 250.000 Euro investiert und weitere Sponsoren akquiriert. Wenn es trotzdem nicht klappt, dann packe ich zusammen und nehme mein Team wieder mit. Wenn ich was mache, dann mache ich das konsequent, bis zum Schluss. Das heißt auch: Ich will ein klares Votum am 19. September. Und ich glaube, der Verband will auch Veränderung. Und eines steht fest: Wenn ich gewählt werden sollte, wird die Schlagzahl nicht verringert, sondern noch erhöht.

Sie bezahlen, und der Verband ist mehr oder weniger von Ihnen abhängig. Passiert also ab sofort nur noch, was der Geldgeber sagt? Wer die Musik bezahlt, der bestimmt sie auch. Die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft als One-Man-Show?

Es ist überall auf der Welt das gleiche: Wer das Geld gibt, der bestimmt auch. Der Verband ist so schlecht aufgestellt gewesen, dass das Haus seit Jahren brennt. Aber keiner wollte es löschen. Du kannst das Feuer nur mit Wasser löschen, in diesem Fall ist Geld das Wasser. Es mussten dringende Entscheidungen getroffen werden, und wenn man diese Entscheidungen mit Geld unterlegen kann, statt immer zu betteln, dann kann man sie auch sofort treffen. Aber es gibt keine One-Man-Show, es gibt ein komplettes Team aus Reihen der DESG, das sich für die übrigen Posten im Präsidium zur Wahl stellt. Schon jetzt gibt es eine neue Generalbevollmächtigte fürs Sportliche, einen neuen Pressesprecher und erstmals in der Verbandhistorie einen Datenschutzbeauftragten. Klar, bei der Wahl, die ansteht, geht es um meine Wahl, es geht aber auch um die Wahl derjenigen, die ich mitbringe.

Viele sind sich einig, dass die DESG in einem miserablen Zustand ist. Sie betonen das immer wieder. Aber was ist Ihr eigener Anteil daran gewesen an diesem miserablen Bild? Bei fast allen Konflikten in der Vergangenheit fiel auch Ihr Name. Wurde der Verband auch von Ihnen so sturmreif geschossen, dass Sie anschließend den ganzen Laden übernehmen konnten?

Ja, es gab immer Konflikte, aber wenn Sie elf Jahre für Claudia Pechstein an der Bande stehen und ihre Geschichte und ihren Kampf um Gerechtigkeit miterlebt haben, dann muss man einfach klar Stellung beziehen. Wenn wir dabei mal jemandem unberechtigt auf die Füße getreten sein sollten, können wir uns gerne dafür entschuldigen. In einem Krieg – und den hatten wir im Fall Pechstein im übertragenen Sinne – ist es nun mal so, dass es auch Kollateralschäden gibt. Das haben die Verantwortlichen in der DESG übrigens nie anders gesehen, der Verband stand in Bezug auf die 2009 von den Sportgerichten ausgesprochene Unrechtssperre inhaltlich immer an der Seite Claudias. Die DESG hat sich aber auf anderen Ebenen selbst sturmreif geschossen. Durch einen Bundestrainer, der seine beste Athletin öffentlich als „zum Kotzen“ diskreditiert und sagt, er habe „keinen Bock“ sie zu trainieren. Durch einen Sportdirektor, der das nicht sanktioniert. Durch schwache sportliche Leistungen, schlechte Außendarstellung, Misswirtschaft, mangelhafte Strukturen, unzureichende Nachwuchsarbeit und fehlende Visionen. Das konnte nicht gut gehen.

Pechstein und Große – ein Präsident und eine noch aktive Sportlerin als seine Lebensgefährtin, das ist das Duo, das jetzt alles bestimmt? Sehen Sie da etwa keinen Interessenskonflikt?

Klar ist: Ohne Claudia Pechstein wäre ich auch nicht kommissarischer Präsident der DESG. Aber was während meiner Amtszeit nun geschieht, hat damit nichts mehr zu tun. Sollte Claudia aufhören oder sich verletzen, hat das keine Bedeutung für die Präsidentschaft. Ich habe das von Anbeginn klar getrennt. Claudia fügt sich in die Truppe ein, macht ihren Job. Genau das, was ich von ihr erwartet habe. Mehr nicht.

Und wenn es künftig mal eine Nominierungshärte um Frau Pechstein gibt, schaut sich das der Präsident natürlich aus der Ferne an und mischt sich nicht ein.

Wenn Claudia Pechstein sich nicht qualifiziert, dann fährt sie ohnehin nicht zum Wettkampf. Sie will keine Almosen. Dazu ist sie viel zu ehrgeizig. Claudia ist keine einfache Person, aber wenn sie einfach wäre, wäre sie niemals so erfolgreich geworden, sondern schon seit 18 Jahren im Ruhestand. In den Niederlanden hätten sie sich doch schon lange totgelacht über die Eislauf-Omi, angesichts der großen Konkurrenz. Aber in Deutschland ist das Leistungsgefüge ein anderes. Auch das Anspruchsdenken. Wenn du hierzulande mit 48 immer noch die Schnellste bist, dann machen dich diejenigen, die hinterherlaufen, zur Schuldigen, anstatt sich selbst zu hinterfragen.

Also wenn Pechstein aufhört, heißt das nicht, dass auch Große keine Lust mehr hat?

Überhaupt nicht. Und Claudia hat gesagt, wenn die Olympischen Spiele in 17 Monaten nicht stattfinden, sondern verschoben werden, macht sie einfach noch weiter. Ich glaube ihr das. Denn sie will unbedingt als erste Frau der Welt zum achten Mal bei Olympischen Winterspielen starten.

Jahrelang haben Sie polarisiert, jetzt sollen Sie präsidial auftreten. Sie können schon verstehen, dass man Zweifel hat, wie das gehen soll?

Dass ich polarisiert habe, das behaupten Sie und ein Teil der Öffentlichkeit. In meinem Unternehmen bin ich jeden Tag dabei, zu integrieren. Auch zuvor Obdachlose, die bei mir zuerst ein Dach über den Kopf und dann einen Job gefunden haben. Integrieren heißt für mich aber nicht, alle sitzen am Tisch, jeder hat seine Meinung, und wir müssen aus allen Meinungen eine Suppe kochen. Natürlich musst du einen Verband anders führen als ein Unternehmen, das dir gehört und in dem du selbst entscheidest. Wenn du eine Funktion im Verband hast, musst du dich auch zurücknehmen können. Ich werde mich also hüten, ins Vereinsleben einzugreifen.

Der Bundestrainer Eric Bouwman ist nicht mehr da, der Sportdirektor Matthias Kulik auch nicht – das wirkt mit Verlaub nicht so integrierend.

Wenn der Bundestrainer sagt, meine Bewerbung für das Präsidentenamt sei der größte Witz der Sportgeschichte, dann muss doch jedem klar sein, dass das keine Grundlage für eine gemeinsame Arbeit ist. Dann musst du konsequent sein, und konsequent sein heißt in diesem Fall Härte zeigen.

Im Fall von Sportdirektor Kulik betonen Sie, Sie dürften öffentlich nichts dazu sagen, weil man sich mit Kulik arbeitsrechtlich noch auseinanderzusetzen habe. Gleichzeitig streuen Sie aber, dass er sich massiven Fehlverhaltens schuldig gemacht habe. Das ist doch mindestens schlechter Stil.

Über meinen Stil kann man sicher unterschiedlicher Meinung sein. Aber wenn Sie 28 Verfehlungen in 55 Tagen finden, dann müssen Sie handeln. Und wenn sie demjenigen dann noch eine Chance geben wollen, derjenige sich aber verweigert, hat er nicht verstanden, worum es geht. Ich bin sein Boss, ob er es glauben will oder nicht. Der Sportdirektor hat seine Arbeit einfach nicht getan. Und jetzt will er eine Abfindung, das wird nicht passieren, solange ich etwas zu sagen habe.

Diese Abfindung, wer zahlt die? Der Verband ist doch so gut wie pleite. Zahlen Sie die?

Um das klar zu machen: Es wird keine Abfindung geben. Weil er zu denen gehört, die wir für ihre Fehler in Haftung nehmen werden. 

Fehler, die Sie werden nachweisen müssen. Das stellen Sie ja jetzt erst mal nur in den Raum.

Herr Kulik kann aus meiner Sicht viele Dinge, aber als Sportdirektor war er nicht geeignet.

Einen neuen Bundestrainer haben Sie bereits ausgesucht. Seinen Namen wollen Sie aber erst nach der Mitgliederversammlung bekanntgeben – warum?

Ich möchte die Neubesetzung zunächst intern vorstellen. Dazu muss ich mit den Stützpunkttrainern reden, danach wissen alle, wie unser Konzept umgesetzt werden soll. Wir werden die Präsidiumswahl im Vorfeld nicht mit einer solch entscheidenden Personalie belasten. Ich glaube aber, dass wir die passende Person gefunden haben und bin gerne bereit, den Namen am Abend der Mitgliederversammlung bekannt zu geben.

Über Kreuz liegen Sie auch mit dem Athletensprecher Moritz Geisreiter. Wie sieht es denn da mit Ihrer Integration aus?

Ich kenne im Grunde nur eine Ecke, aus der es seit acht Monaten Knatsch gab, und das ist die von Moritz Geisreiter. Wenn er wiederholt sagt, ich sei nicht der Richtige für dieses Amt, ist das für mich keine Kritik, sondern eine persönliche Meinung. Substanzlos, das sind für mich Phrasen. Athletensprecher sind wichtig, aber Athletensprecher, die nicht mehr nah am Team sind, halte ich persönlich für schwierig. Wo war er denn, als in den Vorjahren die Erfolge ausgeblieben sind? Als es finanziell eng wurde, meine Vorgängerin einfach die Brocken hinwarf und der Verband führungslos immer weiter in die Krise schlitterte? Da habe ich nichts vom Athletensprecher gehört. Wir haben zwischenzeitlich gesprochen und sind uns einig, dass wir niemals beste Freunde werden. Aber wir bleiben im Dialog.

Als eine Ihrer ersten Maßnahmen haben Sie verfügt, dass öffentliche Äußerungen aus dem Verband nur noch über den Pressesprecher gehen sollen. Die Mitgliederversammlung soll ganz ohne Presse stattfinden. Das klingt nicht wirklich transparent.

Diese sogenannte Maulkorbdiskussion ist doch längst erledigt. Natürlich können die Athleten sprechen, mit wem sie wollen. Ich sage nur, dass jemand, der Anfragen bekommt, die die Belange des Verbandes betreffen, diese über den Pressesprecher sortieren lassen soll. Das ist in jedem Unternehmen so und sollte auch in einem olympischen Spitzenverband so sein. Was die fehlende Presse bei der Mitgliederversammlung anbelangt, so wird dies von der derzeit noch gültigen Satzung so vorgeschrieben. Wir arbeiten bereits an einer neuen. Sollte ich Präsident bleiben, werde ich mich dafür einsetzen, dass Sie und Ihre Kollegen spätestens zur nächsten Wahl dabei sein dürfen.

Sie haben mit der B&O-Gruppe einen neuen Hauptsponsor präsentiert, der wie Sie aus der Immobilienbranche kommt und den Sie gut kennen. Ist das Sponsoring oder eher Vetternwirtschaft mit alten Bekannten, die man in den Verband hineinholt? Gibt es Geschäftsbeziehungen Ihres Unternehmens zu B&O?

Es ist in jedem Fall nützlich, Bekanntschaften zu haben, die einen unterstützen können. Es wäre doch dumm, wenn man Freunde, die ihre Hilfe anbieten, nicht mit einbeziehen würde. Ein Unternehmer entscheidet, in dem er fragt: Wie löse ich das Problem? Das sollte auch als Präsident nicht anders sein. Natürlich braucht so ein verkrusteter Verband Hilfe von außen. Natürlich hole ich meine Leute. Und natürlich hole ich auch die Leute, die Claudia Pechstein schon seit vielen Jahren unterstützt haben, wenn sie jetzt bereit sind, dem gesamten Verband zu helfen. Ich hole Leute, deren Expertise unstrittig ist. Man könnte natürlich auch so weitermachen wie bisher, Dienst nach Vorschrift. Doch dann ist es um diesen Verband geschehen.

Apropos Dienst nach Vorschrift: Sie sind in der DDR aufgewachsen, Sie haben dort die Offizierslaufbahn eingeschlagen. Wie viel DDR steckt noch in Matthias Große?

Ich bin im Sozialismus geboren und werde im Kapitalismus sterben. Das sagt alles aus. ‘67 geboren, bis ‘89 DDR, danach Westdeutschland. Ich bin in der DDR erzogen und ausgebildet worden. Ich habe eine gute Ausbildung genossen, ein gutes Gesundheitssystem gehabt, ich habe in der DDR nie Not gelitten, hatte mich für den Staat entschieden und wollte General werden. Ich wäre es auch geworden. Ich wäre auch nie abgehauen, habe in Minsk studiert. Aber die Geschichte hat einen anderen Weg gewählt. Heute bin ich dankbar dafür. Jedenfalls: Der Titel „Der General“, den Sie letztens als Überschrift gewählt haben, als sie schon mal über mich geschrieben haben, der ehrt mich. Auch wenn es von Ihnen ganz anders gemeint war.

In einem Interview der FAZ haben Sie gesagt: „Ich stehe zu den Erfolgen des DDR-Sports“ Wie schauen Sie denn dann heute auf den DDR-Sport? Mit seinem Renommee auf der einen Seite, mit Drill und Doping auf der anderen Seite? Ein Vorbild?

Das frühe Schul- und Fördersystem in der DDR war ein gutes System. Aber Sport war Klassenkampf. Wenn du dich dem System nicht ergeben hast, hast du nichts zu lachen gehabt. Aber wenn du dich heute dem Sportsystem nicht unterwirfst, fliegst du auch raus. Viele Preise für den damaligen Erfolg waren zu hoch, aber ich kenne auch eine Menge guter Athleten aus der DDR, die hatten nichts damit zu tun. Nehmen Sie große Sportler wie Henry Maske, Sven Fischer, Franziska van Almsick, Jens Weißflog, Birgit Fischer, Gunda Niemann-Stirnemann, Claudia Pechstein, sie alle sind auch im Westen ihren Weg gegangen. Die Großen haben sich durchgesetzt. Und trotzdem wird immer gesagt, in der DDR seien alle gedopt gewesen. Das System war schlecht, aber weist es doch bitte jedem im Einzelfall nach. Pauschalurteile bringen gar nichts. Denn Klassenkampf war es auch für den Westen.

 

Das vollständige Manuskript finden Sie anbei im Download.